Mit Breiumschlag und Thymian huschte ich wieder in den vorderen Teil des Baus. Dort hatte Vipernflut meiner ehemaligen Mentorin soeben den Vorfall geschildert und fragte nun, was er für Halbgesicht tun konnte. Nebelhauch wies ihn an, etwas nasses Moos und Frischbeute zu besorgen und wandte sich anschließend mir zu. Ich solle den Umschlag direkt auf Halbgesichts Wunde auflegen, die Mohnsamen würden wir ihr geben, wenn sie wieder wach wäre. Unterdessen benötigte Vipernflut allerdings etwas Thymian – selbstverständlicherweise gegen den Schock. Obwohl Nebelhauch ihre Anweisungen mit einem kurzen Lächeln schloss, zeichnete sich in ihrem Gesicht eindeutig der Schlafmangel ab. Wir waren immerhin die ganze Nacht lang auf den Pfoten gewesen und hatte zudem noch zwei Mal den Weg zum Mondsee zurückgelegt. Ich nickte ihr kurz zu und tat wie mir gehießen. Ich schnappte den Breiumschlag sowie die restlichen Kräuter, trat etwas näher und schob den Thymian vor Vipernfluts Pfoten. «Bevor du gehst, nimm das hier.», forderte ich den Kater auf, während ich auf die silbrig-blättrigen Stängel vor mir zeigte, «Das hilft gegen den Schock.» Zugegeben, das war eine ziemlich knappe Erklärung, aber im Moment war es wichtiger, dass Halbgesichts Wunden ausreichend versorgt wurden. Als nächstes rückte ich also etwas näher an die Kriegerin heran und begann damit, den kräftig riechenden Breiumschlag vorsichtig um ihr Hinterbein zu schlingen. Die Blutung schien zunächst einigermaßen gestoppt, doch Halbgesicht hatte eindeutig einiges an Blut verloren. Hoffentlich ging es ihr wenigstens etwas besser, wenn sie wieder aufwachte. Wie lange ihre Genesung dauern würde, wusste im Augenblick nur der SternenClan.
Viel Zeit um darüber nachzudenken, blieb mir allerdings nicht. Von weiter vorn hörte ich eine männliche Stimme in den Heilerbau rufen. Ein Blick in die Richtung der Stimme verriet mir, dass es sich um Braunblick handelte, Seeblütes Gefährten. Er fragte nach mir und erklärte, dass Seeblüte ihre Jungen bekam. Natürlich, die Jungen! Die waren in der ganzen Aufregung um die fremde Katze in unserem Bau und Halbgesichts Verletzung völlig untergegangen. «Ich bin sofort bei dir!», miaute ich ihm etwas lauter zu und stürzte wieder in unser Vorratslager. Dass Nebelhauch auch noch anwesend war, blendete ich vollkommen aus. Wie im Tunnel suchte ich zwischen den verschiedenen Kräutern nach Borretsch. Als ich endlich ein paar der ovalen, rauen Blätter in die Pfoten bekommen hatte, macht ich einen Satz in den vorderen Bereich des Baus und lief dann schnellen Schrittes auf Braunblick zu. Mit den Blättern im Maul nuschelte ich ihm zu: «Such… 'nen Stock… bring… in die… Kinderstube.» In der Hoffnung, dass der Krieger mich verstanden hatte, rauschte ich davon und befand mich wenige Herzschläge später bereits vor dem Eingang der Kinderstube. Ich schlüpfte mit geducktem Körper hinein und blinzelte ein paar Mal, bis sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. In einem gemütlichen Nest lag die gefleckte Kätzin, deren Bauch mittlerweile eine beträchtliche Größe angenommen hatte. Wie es aussah, kam ich genau rechtzeitig. Mit einem Lächeln trat ich näher an Seeblüte heran und musterte ihre Atmung, die den Umständen entsprechend jedoch völlig normal schien. Die Borretschblätter legte ich zunächst zur Seite, die würden erst nach der Geburt zum Einsatz kommen. «Alles gut, ich bin da.», miaute ich der Kätzin beruhigend zu, während meine Vorderpfoten ihren Bauch leicht abtasteten. «Die Jungen werden jeden Moment kommen.», hob ich an, nachdem ich meine Pfoten wieder auf den Boden gesetzt hatte, «Wenn du eine Wehe spürst, musst du so fest du kannst pressen, in Ordnung?» Ich war mir sicher, dass Seeblüte bereits wusste, worauf es bei einer Geburt ankam. Sie hatte diese Prozedur schon einmal durchlebt. Dieses Mal würden ihre Jungen überleben, dafür würde ich sorgen.
______________________________________________________________

Seeblüte lag bereits in ihrem Nest, als ich in die Kinderstube trat. Mit einem kleinen Lächeln schritt ich auf die Kriegerin zu, begann ihren Bauch abzutasten und erklärte ihr, dass alles gut würde. Daraufhin bedankte sich die gefleckte Kätzin, verwendete dabei jedoch meinen Schülernamen, den ich nun seit letzter Nacht nicht mehr trug. Das nahm ich ihr allerdings nicht übel. Bisher wusste noch nicht mal Wolkenstern, dass ich kein Schüler mehr war. «Hirschblick.», berichtigte ich sie mit einem stolzen Schnurren in der Stimme, «Nebelhauch hat mich auf dem Heilertreffen letzte Nacht zum Heiler ernannt.» Meine Pfoten berührten nun wieder den Boden. Es schien alles soweit in Ordnung zu sein, die Jungen würden jeden Augenblick zur Welt kommen. Daher wies ich die werdende Königin an, bei jeder Wehe, die sie spürte, so fest zu pressen, wie sie nur konnte. Sie nahm meine Anweisungen mit einem Nicken an und im nächsten Moment überrollte sie die nächste Schmerzenswelle. Ihr Körper verkrampfte sich schlagartig und sie stieß ein leises Jaulen aus. Ich konnte mir nur annähernd ausmalen, wie schmerzhaft eine Geburt für eine Königin sein musste. Wie es schien, brachte diese Wehe jedoch noch keines der Jungen mit sich. Ich blieb weiterhin ruhig neben der Kätzin sitzen und überprüfte ihre Atmung, als plötzlich eine dritte Katze die Kinderstube betrat. Es handelte sich um Braunblick, der einen Stock im Maul trug und eilig zu seiner Gefährtin stürmte. Den Stock legte er neben der Kriegerin ab. «Danke dir.», miaute ich an den Kater gewandt, ehe sich mein Blick wieder auf Seeblüte richtete, «Wenn deine Wehen stärker werden, versuch auf diesen Stock zu beißen. Das wird dir helfen, die Schmerzen zu ertragen.» An Braunblick gewandt, fügte ich noch hinzu: «Sobald die Jungen kommen, müssen wir ihre Fruchtblase aufbeißen und sie sauber lecken. Denkst du, du kriegst das hin?» Ich wollte dem Kater immerhin nichts zumuten, was er sich nicht zutraute, aber etwas Hilfe konnte ich dabei gut gebrauchen.
Nun konnten wir nur abwarten, bis das erste Junge sich bereit machte, sein neues Leben anzutreten. Es konnte aber eigentlich nicht mehr lange dauern. Seeblüte hatte ihre ersten Wehen bereits hinter sich. Mit konzentrierter Miene achtete ich auf jede kleine Regung in ihrem Bauch…
______________________________________________________________

Seeblüte war nun neben Nebelhauch die zweite Katze, die von meiner Ernennung zum vollwertigen Heiler wusste. Ihr Glückwunsch ließ mich abermals schnurren, ehe ich ihr Anweisungen gab, wie sie sich bei den nächsten Wehen zu verhalten hatte. Sie nickte und kurz darauf überrollte sie von Neuem eine Schmerzenswelle, die jedoch noch keines der Jungen hervorbrachte. Stattdessen trat wenige Herzschläge später Braunblick in den Bau, der den von mir gewünschten Stock mitbrachte. Nachdem ich Seeblüte kurz erklärte, was es mit dem Stock auf sich hatte, wandte ich mich an ihren Gefährten. Er würde mir helfen müssen, die Fruchtblase der Jungen zu zerbeißen und sie von der Flüssigkeit zu befreien, wenn es soweit war. Seine Gefährtin kämpfte derweil mit der nächsten Wehe und hielt den Stock, wie angeordnet, fest im Maul. Der braune Kater nickte, ließ seinen Blick jedoch weiterhin auf Seeblüte haften. Mit einem Ruck ließ die Anspannung in Seeblütes Körper sichtbar nach. Im Nest lag ihr erstes Junges, blind und orientierungslos, aber wunderschön. Ohne, dass ich etwas sagen musste, hob Braunblick das Junges in seine Pfoten, zerbiss die Fruchtblase und begann gegen den Strich zu lecken, bis das Kleine trocken war. Es war eindeutig zu erkennen, dass das Junge zu Seeblüte gehörte, es hatte ebenfalls bunt geflecktes Fell. Suchend tastete es an dem Bauch der Kätzin umher, es war so winzig und zerbrechlich. Viel Zeit zum Bestaunen des kleinen Wesens blieb uns allerdings nicht. Die Königin jaulte erneut leise auf, als das nächste Junge auf dem Weg war. Sie biss kräftig auf den Stock, begann zu zittern und schaffte es letztendlich, auch die nächste kleine Kreatur in das Nest zu befördern. Der Kater schnappte sich auch dieses Junge und verfuhr genau wie mit dem vorherigen, ehe er es zu seinem Geschwisterchen an Seeblütes Bauch legte. Diese fragte nun schwer atmend, ob alles gut sei. Braunblick flüsterte, dass die Jungen wunderschön seien und leckte seiner Gefährtin liebevoll über die Wange. «Sie atmen und sind gesund.», fügte ich leise hinzu, um auch die letzten Bedenken seitens Seeblüte zu beseitigen. Danach fuhr ich noch einmal behutsam mit den Vorderpfoten über ihren Bauch. Nun fehlte noch das letzte Junge, ehe die Königin sich ihre wohlverdiente Pause gönnen konnte. «Nur noch eines, dann hast du es geschafft.», versuchte ich sie zu motivieren und ließ meine Pfoten wieder zu Boden sinken. Das Ganze hier war für mich mindestens so aufregend, wie für die beiden werdenden Eltern. Es fühlte sich so gut und doch so anstrengend an.
______________________________________________________________