Es war ein schönes Gefühl, so viel Offenheit und Ehrlichkeit von Sturmseele zu empfangen. Nach alledem was passiert war, war das keine Selbstverständlichkeit. Leider konnte ich nicht mal ansatzweise so ehrlich antworten, als der Kater danach fragte, ob ich schon einen Gefährten hätte. Von allen Themen, die er hätte ansprechen können, war das mit Abstand das unangenehmste. Zu meinem Glück, schien er relativ schnell zu merken, dass er damit auf eine empfindliche Stelle getroffen hatte und wechselte rasch das Gesprächsthema. Da er einige Zeit im Heilerbau verbracht hatte, wollte der Getigerte darüber informiert werden, welche Neuigkeiten es im Clan gab. Das erste, das mir in den Sinn kam, waren die beiden DonnerClan-Kätzinnen, die ich zuletzt im Lager gesehen hatte. Sie sahen nicht gerade so aus, als ob sie sich hier unwohl fühlten und wie Eindringlinge wurden sie auch nicht behandelt. Scheinbar handelte es sich also um zwei neue Clan-Gefährten… und dabei kannte ich noch nicht einmal ihre Namen. Sturmseele sprach die Vermutung aus, dass sie wegen Katern hierhergekommen seien. Im ersten Moment wirkte das ziemlich absurd. DonnerClan-Katzen und SchattenClan-Kater, das passte einfach nicht zusammen und ich konnte mir kaum vorstellen, dass diese zwei Kätzinnen ihren Clan nur wegen einer ohnehin verbotenen Liebe verlassen hatten. Je länger ich jedoch darüber nachdachte, desto plausibler klang es. Welchen Grund hätten sie sonst gehabt, ihrem Clan einfach den Rücken zukehren? Ich stimmte Sturmseele also zu, aber etwas seltsam war es trotzdem. Der Kater hatte allerdings eine ziemlich gute, wenn auch nicht ernst gemeinte Erklärung dafür: Vielleicht gab es im DonnerClan ja nur hässliche Kater. Ich konnte mir ein belustigtes Schnurren nicht verkneifen. Die Vorstellung, dass diese beiden Kätzinnen auf den SchattenClan ausweichen mussten, weil es in ihrem eigenen Clan keine ansehnlichen Kater gab, war einfach zu komisch.
Bevor wir uns noch mehr alberne Gründe überlegen konnten, warum der DonnerClan nun bei uns Einzug hielt, überhäufte mich Sturmseele mit weiteren Fragen. Kein Wunder, hier drinnen bekam man schließlich so gut wie nichts mit. Hoffentlich würde ich mich niemals so schlimm verletzen, vermutlich würde ich nicht einmal einen Herzschlag lang still hier herumliegen können. Seine erste Frage bezog sich auf die große Versammlung. Mit einem Blick nach draußen bemerkte ich, dass diese sich nun bald dem Ende neigen musste. Auf der Lichtung krochen bereits erste Sonnenstrahlen aus ihrem Versteck. Normalerweise wäre ich traurig gewesen, nicht an der großen Versammlung teilnehmen zu können, aber das schöne Gespräch mit Sturmseele war mir dann doch um einiges lieber. Wobei ich auf seine nächste Frage lieber nicht geantwortet hätte. Er erkundigte sich danach, ob schon jemand Splitterblütes Fehlen aufgefallen war. Ich sah ihm aufrichtig in die Augen und sagte die Wahrheit einfach gerade heraus. Niemand hatte bemerkt, dass sie weg war. Ich konnte mir nicht erklären, woran das lag. Selbst ich hatte nichts davon mitbekommen, bis Sturmseele mir von dem verhängnisvollen Ausflug berichtet hatte. Der Kater schaute mit angelegten Ohren auf den Boden und miaute seufzend, dass es irgendwie traurig sei, seinen Clankameraden scheinbar egal zu sein. Die Vorstellung, eines Tages plötzlich zu fehlen, ohne, dass auch nur eine einzige Katze im Clan mein Verschwinden bemerkte, war wirklich schrecklich. Sturmseele schien in diesem Augenblick über dasselbe nachzudenken, denn er fragte sich murmelnd, wie viele es interessieren würde, wenn er auf einmal weg wäre und ob jemand nach ihm suchen würde. «Ich würde dich auf jeden Fall suchen.», gab ich leise an ihn gewandt zu. Er sollte sich nicht so fühlen, als ob er niemandem etwas bedeutete, das stimmte nämlich ganz und gar nicht. Wenn es sein müsste, würde ich jedes einzelne Territorium nach ihm durchforsten und nicht aufhören, bis ich ihn finden würde.
Sturmseele horchte auf und auch ich erschrak etwas, als lautes Pfotengetrappel die friedliche Stille im Lager durchbrach. Kurz darauf hörte man bereits, wie Froststern alle Katzen zu einem Clantreffen versammelte. Offensichtlich war die große Versammlung vorbei und damit auch das Gespräch mit Sturmseele, immerhin war ich nicht verletzt und musste meinen Pflichten nachgehen. Widerwillig verabschiedete ich mich von dem getigerten Kater und bot an, meinen Bericht später fortzusetzen. Sturmseele miaute, dass er sich darüber freuen würde und wir heute Abend eventuell einen kleinen Rundgang durch das Lager machen könnten. Er ergänzte amüsiert, dass er mittlerweile genug vom Rumliegen hatte. Ich lächelte verständnisvoll und entgegnete:  «Wenn du dich heute Abend fit genug fühlst, würde ich mich freuen, einen kleinen Spaziergang mit dir zu machen.» Das würde bestimmt schön werden, aber hoffentlich überanstrengte sich der Kater nicht. Mit seinen Verletzungen war nicht zu spaßen.
Zum Abschluss schenkte er mir ein warmes Lächeln und bedankte sich für meinen Besuch und das schöne Gespräch. «Nichts zu danken, sowas machen Freunde eben.», gab ich mit einem ebenso warmen Blick zurück. Ich wollte mich gerade verabschieden, als Ahornsplitter aufwachte und ein etwas verwirrtes ‹Morgen?› von sich gab. «Guten Morgen.», miaute ich gut gelaunt und immer noch lächelnd zurück. An seinen Vater gewandt ergänzte der junge Krieger, dass er hören wollte, was Froststern zu sagen hatte und verließ daraufhin schnurstracks den Heilerbau. Im selben Moment trat Krallenmond ein und nickte zur Begrüßung. Ohne ein weiteres Wort betrat sie den hinteren Teil des Baus, wo bereits Staubträne auf sie wartete. «Wird ziemlich voll hier.», miaute ich an Sturmseele gewandt, «Ich sollte besser nach draußen gehen und an dem Clantreffen teilnehmen. Wir sehen uns später!»
Ich machte anschließend kehrt und tapste aus dem Heilerbau. Einige Katzen hatten sich bereits auf der Lichtung versammelt und lauschten Froststerns Worten. Ich trat etwas näher, um die Rede unseres Anführers besser verstehen zu können. So wie es aussah, sprach er von der großen Versammlung. Viel zu berichten hatte er jedoch nicht, außer, dass Honigstern in einer langen Rede alle Clans kritisiert hatte, dass Schneestern nichts Wissenswertes zu berichten hatte und dass Wolkenstern nur ihn persönlich angegriffen habe. Die Anführer schienen wohl auch nicht mehr das zu sein, was sie mal waren. Ob Schneestern wusste, dass sich zwei ihrer Katzen aus dem Staub gemacht hatten? Viel Zeit, um darüber nachzudenken blieb mir nicht, denn Froststern führte seine Ansprache nach einer kurzen Pause fort. Er erzählte, dass sich langsam Veränderungen im Wald auftaten. Wir hätten jedoch nichts zu befürchten, da wir der erste Clan seien, der etwas änderte und wir strak genug seien, um es mit jedem aufzunehmen. Motivierende Worte, aber dennoch war mir nicht nach jubeln zumute. Wenn wir so ein großartiger Clan waren, warum war dann bisher noch niemandem Splitterblütes Fehlen aufgefallen?
Der Anführer ergänzte, dass Graunebel nun die Patrouillen einteilen würde und erklärte die Versammlung anschließend für beendet, ehe er von dem Stein in der Mitte des Lagers hinabsprang. Ich richtete die grünen Augen auf unseren zweiten Anführer und wartete gespannt auf die Einteilung der Patrouillen.
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Zusammen mit den anderen Katzen, die an der großen Versammlung teilgenommen hatten, lief ich zurück ins Lager. Der Weg war mir mindestens doppelt so lang vorgekommen als sonst, was vermutlich meiner Müdigkeit geschuldet war. Es fühlte sich an, als hätte ich seit drei Blattwechseln nicht mehr geschlafen und ich wurde auch nicht sonderlich wacher, als die ersten Strahlen der Morgendämmerung sich ihren Weg durch die hohen Kiefern bahnten. Ich achtete nicht mal darauf, wo sich Tannenblick im Moment befand. Vermutlich hielt er sich sowieso in meiner Nähe auf. Zielstrebig steuerte ich den Kriegerbau an. Dass Froststern alle Katzen zu einem Clantreffen versammelte, ignorierte ich dabei gekonnt. Da ich an der Versammlung teilgenommen hatte, würde ich wohl kaum für irgendeine Patrouille eingeteilt werden. Einen Schüler hatte ich ebenfalls nicht, also schlüpfte ich kurzerhand in den Kriegerbau und ließ mich in mein Nest sinken. Der Tag war ziemlich anstrengend gewesen und das ganze hin und her mit Tannenblick machte es nicht besser. Ich war völlig ratlos. Warum um alles in der Welt musste er es sein? Jeder andere Kater hätte bei meinem Verhalten bereits das Weite gesucht, aber er hing an mir wie eine nervige Klette. Ich war doch kein Junges mehr, auf das man aufpassen musste! Andererseits… wenn er nicht da war, fehlte mir irgendetwas. Argh! Ich wälzte mich in meinem Nest umher, unfähig, die richtige Schlafposition zu finden. Warum muss das auch alles so kompliziert sein? Für heute hatte ich wirklich genug von diesem Mäusehirn. Ich musste zunächst ein wenig zur Ruhe kommen, bevor ich noch mehr Schlaf versäumte und überhaupt nicht mehr klar denken konnte. Wobei das mit dem klaren Denken schon lange nicht mehr zu funktionieren schien. Nachdem ich mich etliche Male hin- und hergedreht hatte, sank ich schließlich doch in einen unruhigen Schlaf. Vielleicht war das hier alles bloß ein böser Traum und wenn ich aufwachte, dann war alles ganz normal. Tannenblick rannte mir nicht mehr hinterher und ich konnte mein Leben wieder wie vorher führen, ohne mir ständig Gedanken über diesen dämlichen Kater machen zu müssen.
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