Laut durchzog der Schrei eines Hahns die morgendliche Stille. Der Himmel war bereits in einem Zartrosa gehaucht und die ersten Sonnenstrahlen verscheuchten die Finsternis der Nacht. Die letzten Sterne funkelten am Firmament, doch auch ihnen würde bald die Kraft fehlen, sich dem Licht der Sonne gegenüber zu behaupten. Wolken hingen wie dünne Seidennetze am Himmel und versprachen einen schönen Tag. Doch das Wetter konnte unberechenbar sein und der Ausblick auf einen Sonnenreichen Tag konnte schnell verwelken, wenn dicke Regenwolken den wärmenden Himmelkörper bedeckten. Nach dem Hahnenschrei folgte das Muhen einer Kuh und das Gegacker der Hühner setzte ein. Es war morgen.
Stöhnend und noch schlaftrunken, zog sich das Mädchen die dünne Decke über den Kopf. Sie war noch Müde. Lange noch, hatte sie am Abend mit ihrer Mutter und ihrer Schwester am Tisch gesessen, um eine Lösung zu finden. Während die Mutter wollte, dass nun auch Lily endlich einer anständigen Arbeit nachging, wollte Sara lieber, dass Lily zuhause blieb. Es würde schon noch alles gut werden, aber Lily entschied sich innerlich, dem Wunsch ihrer Mutter nachzukommen und sich Arbeit zu suchen. Hartnäckiger, als vorher! Sie dürfte sich nicht mehr so schnell abweisen lassen, wenn sie wirklich Arbeit haben wollte. Es würde schon klappen! Doch um Arbeit zu finden, musste sie aufstehen und nach ein paar weiteren Minuten verschwenderischem Nichtstun, schlug sie sie Decke zurück und stand auf. Das Haar war wirr, die Schlafkleidung verschwitzt. Ein kurzer Blick durch die kleine Hütte reichte, um ihr zu sagen, dass ihre Familie nicht mehr im Haus war. Was Sara tat, wusste Lilith nicht, konnte sich bei ihrer Mutter aber denken, dass sie bei den Nachbarn aushalf und die Tiere pflegte. Als Dank bekam sie dann häufig Milch und Eier, hin und wieder sogar etwas Brot, oder etwas Hühnerfleisch. Gerne würde sie auch eigene Hühner aufnehmen, doch sie waren zu teuer und die kleine Familie konnte sich das Futter für die Tiere nicht leisten. Wie sollten sie Hühner versorgen, wenn sie sich schon nicht selber versorgen konnten?

Rasch zog sich Lilith ein anderes Kleid über, trat nach draußen und fröstelte kurz in der morgendlichen Luft. Es war noch kühl und wenn man bis gerade im Bett lag, war die Kälte noch etwas überraschender! Gezielte Schritte brachten sie zum Wasserbecken hinter der Hütte und das Mädchen wusch sich. Danach wurde das Nachtkleid im Fluss gewaschen und über die Leine gehängt. Die Routine jeden Morgens war damit erfüllt und Lily konnte sich über den weiteren Tagesablauf Gedanken machen. Frühstück würde sie sich auf dem Markt stehlen. Zuhause gab es nichts, was dafür herhalten konnte. Es wurde Zeit, die Stadt wieder zu betreten!

Tatsächlich fackelte Lilith heute auch gar nicht lange und trat bereits nach kurzer Zeit durch eines der Tore Nowigrads. Die Wachen hingen verschlafen gegen ihre Lanzen und bemerkten Lilith kaum. Es störte sie nicht, denn so blieben ihr diverse Kommentare und böse Blicke erspart. Wie immer trug sie den Mantel ihrer Schwester, doch die Kapuze ließ sie unten. Vermummte Gestalten kamen nicht gut an und wenn sie Arbeit finden wollte, dann musste sie sich offen zeigen. Ihr schwarzes Haar fiel wallend über ihren Rücken und wehte leicht im Wind, der durch die fast leeren Gänge der Stadt eilte. Der Morgen war schön, denn für die Adligen und Priester war es noch zu früh. Somit würde man sie nicht auf der Straße antreffen und das war immer eine große Freude. Dafür waren Händler und Reisende unterwegs, die die Gunst der frühen Stunde ausnutzen wollten, um diverse Besonderheiten von den Händlern ergattern wollten. Auch Lilith steuerte den Markt an. Nicht um zu stehlen, auch wenn sie noch immer dank des fehlenden Frühstücks Hunger leidete. Erst war es ihr Ziel gewesen, Essen zu stehlen, doch kam ihr wieder in den Sinn, dass manche Händler häufig noch Aushilfen für den Tag suchten. Es würde damit zwar kein fester Job sein, doch für den heutigen Tage könnte Lilith ein paar Münzen erwirtschaften. Und das war doch mal etwas!

Die Suche begann. Auf dem Markt herrschte bereits ein reges Treiben und die Händler waren noch bester Stimmung. Doch jede gute Stimmung half nicht, wenn man nicht das bekam, was man wollte. Hilfe wurde hier nicht gesucht. Die Händler, die Lilith nach Aufgaben befragte, wiesen sie ab, oder wollten ihre Hilfe ohne entsprechende Vergütung. Dass die Schwarzhaarige mit dem nicht einverstanden war, sollte offensichtlich sein, doch die Händler kümmerten sich nicht darum. Sie würden keinen Kopper übergeben!
Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und schickte ihr warmes Licht über den Marktplatz, welcher immer voller wurde. Nun trudelten auch manche Adlige ein, begleitet von Wachen. Reisende, auf ihren Pferden, versuchten ich durch die Menschen zu pferchen, kamen aber nur langsam voran. Lilith versuchte es an einem weiteren Stand. Der Händler dort verkaufte Obst und Gemüse und war alleine. Ob Hilfe hier nicht gern gesehen wurde?
„Entschuldigen Sie, brauchen Sie -“
„Willste Kartoffeln oder Äpfel, Mädel?“
Rüge unterbrach der Händler ihre Worte. Entrüstet schürzte Lilith die Lippen. Ihre Augen funkelten. Sie einfach so zu unterbrechen! Was sollte denn das? „Weder noch, werter Herr, viel eher -“
„Dann geh, ich habe Kunden, ich kann nicht alle alleine bedienen!“
Wieder fuhr der Händler dem Mädchen ins Wort. Sie war noch nie eine Meisterin der Selbstbeherrschung gewesen und es kostete sie bereits alle Müh', dem Herrn nicht auch ins Wort zu fallen. Doch sich über die Arbeit zu beschweren, die er alleine durchführen musste, ging dem Mädchen sehr an die Nieren. Würde er sie doch nur aussprechen lassen! Ihre Laune war Ohnehin schon nicht mehr die Beste, nach den ganzen Abfuhren, die sie sich an diesem Morgen schon hatte anhören müssen. Als der Mann aber eine wischende Bewegung mit der Hand machte und es mit einem „Kusch, kusch!“ unterlegte, reichte es der Schwarzhaarigen. Ungehalten schlug sie mit der flachen Hand auf den wackeligen Tisch, dass die Kartoffeln nur so in ihrer Schale wackelten! „Würden Sie mich ausreden lassen, müssten Sie das hier vielleicht nicht mehr alleine machen! Ich suche Arbeit für Heute!“
Mit großen Augen sah der Händler sie an. Schniefte, zog sich den Rotz in der Nase hoch und rieb sich die Augen. Lilith erkannte die blutunterlaufenen Augen einen Abhängigen. Da nahm jemand wohl gerne eine Prise Fisstech zu sich. „Arbeit?“, wiederholte er und erntete ein Nicken der Schwarzhaarigen. „Gibt's bei mir nich'. Schnorr woanders, Hure!“, blaffte er und wiederholte die Geste mit der Hand. Lilith holte schon Luft, um dem Händler eine entsprechende Antwort entgegenzuwerfen. Solch eine Beleidigung hatte sie sich zwar schon Öfters anhören müssen, doch ihre Geduld hatte ein Ende gefunden. Bitterböse starrte sie den Händler an, der es gewagt hatte, sie mit diesem Wort zu beleidigen, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. „Hütet Eure Zunge, Händler. Beschwert Euch nicht über die Arbeit, sondern erfreut Euch daran, dass Ihr sie besitzt. Entschuldigt Euch bei der Maid!“ Scharf drang eine Stimme von der verhüllten Gestalt, die neben Lilith getreten war. Die Stimme war eindeutig Männlich, die Hand kräftig. Der Händler zuckte zusammen, unter der harschen Aufforderung, neigte dann das Haupt und stammelte eine Entschuldigung. Lilith war Überrascht. Es war schon der zweite Tag in Folge, dass ihr ein Unbekannter zur Hilfe eilte. Doch Lilith war noch immer verstimmt. Nur widerwillig ließ sie sich von dem Mann fortführen, der sie in eine bestimmte Richtung drängte. Als sie am Rande des Marktplatzes angekommen waren, wischte Lilith die Hand von ihrer Schulter und funkelte ihren vermeintlichen Retter an. „Ich kann für mich selbst sprechen!“, fauchte sie regelrecht.
„Fürwahr. Verzeiht mein plötzliches Eingreifen, doch ich bin kein Freund davon, wenn man jemanden als...nun, du weißt schon, bezeichnet.“ Oho. Auch noch so einer, dachte sich Lily verärgert, verschränkte dann die Arme vor der Brust, während der Mann seine Kapuze vom Kopf zog. „Ich hörte, du suchst Arbeit? Damit kann ich vielleicht dienen. Du hast Temperament und läst dich nicht einschüchtern.“
Überrascht blinzelte Lilith. Mit solchen Worten hatte sie nicht gerechnet! Überrumpelt von jenen Worten, lockerte sich ihre Abwertende Haltung. Das strenge Gesicht, welches ihr entgegenblickte, zeigte ungewöhnliche Freundlichkeit. „Meinen Namen kann ich dir nicht verraten. Noch nicht. Wenn du aber bereit bist, mir deine Dienste zu erweisen, sollst du entsprechende Informationen bekommen.“
„Das geht mir etwas zu schnell. Woraus besteht denn überhaupt diese Arbeit?“
„Nur ein Botengang. Kennst du den Weg nach Oxenfurt?“
Lilith nickte.
„Wunderbar. Wenn du bereit bist, dich meinem Dienste zu unterstellen, triff mich an der Brücke hinter dem Südtor. Du sollst einen Teil der Bezahlung im Vorfeld bekommen, den Rest, wenn du die Aufgabe erfüllt hast. Selbstverständlich statte ich dich auch mit einem Pferd aus.“ Es ging noch immer viel zu schnell. Der Fremde ratterte die Informationen herunter, wandte sich um und verschwand in der Menge. Irritiert blieb Lilith zurück. Ihr Herz schlug noch immer wie verrückt. Sie war aufgebracht, wegen dem Händler, welcher es wagte, sie derartig zu beleidigen, der Verzweiflung, keine Arbeit zu finden, um ihre Familie zu unterstützen und wegen der Verwirrung, die der Fremde bei ihr Hinterlassen hatte.

Sollte sie seinem Angebot nachgehen?
• Ja, Lilith wird dem Arbeitsangebot nachgehen und den Fremden aufsuchen.
• Nein, Lilith versucht lieber auf dem Markt weitere Arbeit zu finden